[REQ_ERR: COULDNT_RESOLVE_HOST] [KTrafficClient] Something is wrong. Enable debug mode to see the reason. Handball-EM: Alfred Gíslason: Früher ein ganz harter Hund, heute sanfter Menschenfänger – Neuigkeiten für dich

Handball-EM: Alfred Gíslason: Früher ein ganz harter Hund, heute sanfter Menschenfänger

Dass die deutsche Mannschaft ins Halbfinale marschiert ist, liegt auch an Alfred Gíslason. Der Trainer führt sein junges Team mit ganz viel Empathie, Zärtlichkeit, ja man könnte fast sagen: mit Liebe. Das war nicht immer so.

Die Nächte nach Niederlagen sind lang. Dann schaut er wieder und wieder, was seine Mannschaft da bloß veranstaltet hat. Warum verworfen, warum in der Abwehr zu spät gekommen? Alfred Gíslason ist ein lebenslustiger, zugewandter Mann. Aber wenn er Fehler während der Analyse auf dem Laptop sieht, könnte er in den Tisch beißen. Denn er hat es seinen „Jungs“ ja zehn-, ach was, hundertmal gesagt, was sie machen sollen. Nur tun sie es manchmal einfach nicht. Vielleicht können sie auch nicht.

Und dann sitzt dieser 64 Jahre alte Isländer am nächsten Morgen in der Pressekonferenz und sieht alt, müde, abgekämpft aus, mit tiefen Falten im Gesicht. Er rückt die Brille den Nasenrücken hoch und soll erklären, warum und wie es demnächst, ganz bestimmt, besser wird.

Seine Mannschaft hat mehr erreicht als ihr viele zugetraut haben

Doch in diesen Erläuterungen steckt seit zwei Jahren ein neuer Sound. Mehr als nur einmal hat Gíslason in den Tagen dieser Handball-Europameisterschaft gesagt, er „liebe“ die Mannschaft. Er sei „stolz“ auf sie und ihre Entwicklung. Immer wieder hebt hervor, wieviel Freude es ihm mache, mit ihr zu arbeiten.

Das ist verständlich, schließlich schaut Gíslason seinem ganz eigenen Geschöpf beim Wachsen zu. Mit dem Erreichen des Halbfinales gegen Dänemark hat diese, hat seine Mannschaft schon mehr erreicht als ihr viele zugetraut hatten.

STERN PAID 2_24 Juri Knorr 18:01

Man denke nur mal zurück, Januar 2022, Bratislava. Corona schlägt eine Schneise durchs deutsche Team, einer nach dem anderen infiziert sich während der EM, fällt aus. Mit einer C-Mannschaft wird Gíslason Siebter. Es ist die Geburt des Teams, das heute begeistert. Damals ist erstmals auch Julian Köster dabei. Ihn hat Gíslason in der zweiten Liga beim VfL Gummersbach entdeckt.

Wiederum ein Jahr später, die WM in Schweden und Polen. Wieder haben erfahrene Spieler wegen Verletzungen oder familiärer Belastung abgesagt, was Gíslason enorm stört. Er vertraut Köster nun in Angriff und Abwehr, setzt ihn hinten neben seinem Kernspieler Johannes Golla ein. Es ist auch das erste große Turnier Juri Knorrs. Der gebürtige Flensburger wird auf Anhieb zum „besten jungen Spieler“ der WM gewählt. In der Allstar-Sieben steht außerdem Torwart Andreas Wolff. Gíslason hat jetzt seine vier Säulenspieler: Köster. Knorr. Golla. Wolff.

Um sie herum hat er eine vergleichsweise junge Mannschaft gebaut, der man gern zuschaut – nicht nur, weil sie kämpft, was zu erwarten gewesen ist. Sondern weil da in den guten Phasen auch ganz viel Leichtigkeit ist.

Gíslason stammt aus einer Handballerfamilie

Alfred Gíslason stammt aus dem nordisländischen Akureyri. In den langen Wintern suchte er sich als kleiner Junge eine Beschäftigung und landete beim Handball, „weil die Halle immer hell geleuchtet hat in der Dunkelheit“. So erinnert er sich, Jahrzehnte später, und lacht dabei laut. Denn ist das nicht die ganze Wahrheit. Handball war in Gíslasons großer Familie immer ein Thema; in Island allgemein ist der Sport so beliebt wie erfolgreich. Gíslason verließ die Heimat, wurde ein harter Rückraumspieler in der Bundesliga. Sein schaukelnder Seemannsgang erinnert ihn und andere an die langen, zehrenden Jahre. Eine Hüfte hat er schon neu. Die Böden waren hart damals. Die Gegner auch. 

Und der Trainer Gíslason ist es erst recht, zumindest gewesen. In Hameln, Magdeburg, Gummersbach und Kiel waren seine Anschreitiraden legendär. Spieler hatten Angst vor ihm. Wenn er das erzählt, gefällt er sich gar nicht mehr. Es sei Unsicherheit gewesen, darüber, wie er als Trainer sein sollte. Unsicherheit, übertüncht von Gebrüll.

Großer Trainer, toller Mensch

Den Panzer hat er als Vater und mehrfacher Großvater längst abgelegt. Die deutschen Nationalspieler schwärmten von seiner Ansprache vor dem entscheidenden Ungarn-Spiel. Zwei Tage zuvor hatte die DHB-Auswahl ein peinliches 22:22 gegen Österreich hingestoppelt, die Darbietung hätte für eine Schelte jede Menge Anlass geboten. Aber Gíslason richtete bei der Spieltagsanalyse ein paar warme Worte an die Mannschaft. Wie einmalig eine solche EM im eigenen Land sei. Wie privilegiert sie wären, so etwas zu erleben. Manche Spieler sprach er direkt an. Die wirkten später, als sie davon erzählten, immer noch stolz und gerührt. „Das hat gezeigt, dass er ein großer Trainer und ein toller Mensch ist“, sagte Spielmacher Juri Knorr.

Alfred Gíslason muss keinem mehr etwas beweisen. Er wurde mit verschiedenen Vereinen deutscher Meister und Champions-League-Sieger. Er war isländischer Nationaltrainer. Seit vier Jahren amtiert er als Bundestrainer und das mit einer Hingabe, dass er die Hymne mitsingt.

STERN PAID Andreas Wolff 16.20

Seit vielen Jahren wohnt Gíslason in Wendgräben im Jerichower Land nahe Magdeburg. Ein altes Anwesen, auf dem er Obst erntet und Honig schleudert. Sein Büro hängt voller Wimpel und Urkunden, die DVDs alter Spiele stapeln sich. Es ist der Rückzugsort eines Mannes, der eigentlich ein großer Junge geblieben ist. Und von seinem Lieblingssport nicht genug kriegen kann.

Er ist weicher geworden, fast zärtlich

Wohl auch, weil ihm der Sport über manchen Schicksalsschlag hinweghalf. 

Häufig hält sich Gíslason nämlich auch im pulsierenden Berlin auf, wo er gemeinsam mit Freundin Hrund eine Wohnung hat. Die isländische Unternehmensberaterin für Nachhaltigkeit und Autorin ist seit anderthalb Jahren an seiner Seite. Im Mai 2021 war Gislasons Ehefrau Kara gestorben, das Haus in Wendgräben hätte der Altersruhesitz der beiden werden sollen. Eine Ewigkeit waren sie zusammen. Es kam anders. In der schwierigen Zeit nach Karas Tod bot die Arbeit als Handballtrainer Gíslason den nötigen Halt, heute sagt er: „Ich denke, dass kaum jemand zweimal im Leben so viel Glück haben kann wie ich.“ Freundin Hrund hat zweifelsohne ihren Anteil daran, dass man einen veränderten Gíslason erlebt, der lockerer auftritt, fast zärtlich von seinen Spielern spricht, insgesamt weicher wirkt.

Er liebt also seine Mannschaft. Das ist ganz bestimmt wahr. Aber bei aller Ehrlichkeit spricht hier auch der isländische Kämpfer, denn mit jedem Sieg steigen die Chancen, einen neuen Vertrag beim DHB zu bekommen – am liebsten inklusive Heim-WM 2027. Der aktuelle läuft im Sommer aus. Diese EM, sie ist Gíslasons Bewerbung.