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Fall aus Bramsche: Der Mörder und sein Wahn: zur Urteilsverkündung und warum ein alter Mann seinen 16-jährigen Nachbarn tötete

Giuseppe Del B. hat seinen 16-jährigen Nachbarn in Bramsche erschossen. Er habe sich bedroht gefühlt, sagte er vor Gericht. Nun ist klar: Die Kammer glaubt ihm nicht.

Der Angeklagte nimmt das Urteil regungslos zur Kenntnis. Giuseppe Del B., ein kleiner Mann im dunkelblauen Pullover, das weiße Haar akkurat gescheitelt, steht im Saal 272 des Landgerichts Osnabrück und hat seinen Kopf leicht in den Nacken gelegt, als würde er die stuckverzierte Decke und die Kronleuchter fixieren. Eine Dolmetscherin übersetzt ihm die Sätze des Richters auf Italienisch. Er hört ihr zu, aber er wirkt teilnahmslos und sein Blick zur Decke so leer, als würden die Worte jemandem anders gelten: schuldig wegen Mordes.

Giuseppe Del B., 82 Jahre alt, Sportschütze, hat seinen 16-jährigen Nachbarn Sinan F. am Morgen des 28. Februar im niedersächsischen Bramsche erschossen. Mit vier Patronen, abgegeben aus seiner Walther GSP Kaliber 22. Die Staatsanwaltschaft hatte Del B. vorgeworfen, dem Nachbarsjungen im Hausflur mit geladener Waffe aufgelauert zu haben, als dieser sich auf den Weg zur Schule machen wollte. Heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen habe er Sinan F. ermordet. Erst habe er die Wade des Jungen getroffen, dann den Mittelfinger, die Oberlippe. Schließlich die Stirn, aus kürzester Distanz. Der Polizist, der die Ermittlungen leitete, sprach vor Gericht von „einer Hinrichtung“.EIL Bramsche Urteil 15.49

Der Angeklagte hat die Tat vor Gericht gestanden. Aber er bestritt, dem Jungen aufgelauert zu haben. Vielmehr habe sich ein Streit um die vermeintliche Lautstärke im Haus zugetragen. Er habe den Jungen gebeten, den Lärm in der Wohnung im ersten Stockwerk des Mehrfamilienhauses abzustellen. Sinan F. habe geantwortet, da sei kein Lärm, und dann habe er seine Hand in seinen Rucksack gesteckt. Daraufhin wollte sich Del B. bedroht gefühlt und aus vermeintlicher Not seine Sportpistole aus dem Keller des Hauses geholt haben.

Kammer erkennt Mordmerkmal Heimtücke

Am Montagnachmittag macht die Kammer des Gerichts deutlich, dass sie dieser Version der Tat nicht folgt. Es sei „ausgeschlossen“, dass es zu einer Diskussion vor der Haustür gekommen sei, woraufhin Del B. seine Waffe aus dem Tresor im Keller geholt habe. Schließlich habe die Mutter die ersten Schüsse gehört, unmittelbar nachdem ihr Sohn die Wohnung im ersten Stockwerk des Hauses verlassen hatte. Schließlich habe Sinan F. es eilig gehabt, er habe sich auf den Weg zur Schule machen wollen und sei spät dran gewesen. Warum also hätte er vor dem Haus warten sollen, bis Del B. mit der Pistole aus dem Keller zurückgekehrt sei?

Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass Sinan F. in seinen Schulranzen gegriffen habe. Es habe kein reales Anzeichen dafür gegeben, dass Del B. sich in dem Moment bedroht gefühlt haben müsste. „Es gibt nur den Schluss, dass Sie sich das zurechtgelegt haben“, sagt der Richter. Für ihn steht fest, dass Del B. mit geladener Sportpistole auf den Nachbarsjungen gewartet habe. Und dass er ihn sofort überwältigt habe, mit einem Schuss in die Wade, als Sinan F. aus dem Hausflur getreten sei. „Da sollte nicht diskutiert werden, da wurde direkt geschossen“, sagt der Richter. Sinan F. sei sofort zu Boden gesunken. Del B. habe ausgenutzt, dass der Junge arg- und wehrlos gewesen sei. Und er habe weitere Male auf ihn gezielt, zuletzt in die Stirn. Mit der Absicht, ihn zu töten. Die Kammer erkennt darin das Mordmerkmal der Heimtücke.Sportschütze Bramsche Landgericht Osnabrück Gutachterin 16.52

Giuseppe Del B. hatte über Jahre mit Sanella F. und ihrem Sohn Sinan über die Lautstärke im Mehrfamilienhaus gestritten. Das Haus sei tatsächlich hellhörig, ein unsanierter Altbau, sagten Nachbarn vor Gericht. Aber Giuseppe Del B. war es nicht etwa um ein wenig zu laute Musik gegangen, die zu ihm nach unten in die Wohnung drang. Er hatte erst von Weckern gesprochen, die nächtelang durchklingeln, später von mechanischen Klängen, vom Rauschen einer Lokomotive, vom Brummen eines Motorradauspuffs. 

Sanella F. hatte sich über ihren Nachbarn gewundert, mit der Zeit waren ihr seine Klagen unheimlich geworden. Sie hatte versucht, ihm zu erklären, dass es ruhig in ihrer Wohnung sei. Dass die Geräusche nicht existierten. Doch seine Beschwerden waren immer vehementer geworden. Die Nachbarn hätten es auf ihn abgesehen, sie wollten seinen ohnehin schon hohen Blutdruck weiter in die Höhe treiben. Nachts hatte er angerufen und gegen die Haustür seiner Nachbarn gehämmert. Der Nachbarschaftsstreit hatte Vermieter beschäftigt, die Polizei, Ärzte, den Sozialpsychiatrischen Dienst. Keinem gelang es, zu schlichten. Bis der Streit für Sinan F. tödlich endete.

„Von Herrn Del B. geht weiterhin ein Gewaltrisiko aus“

Die Gutachterin Nahlah Saimeh hatte vor Gericht erklärt, dass Del B. sich die motorartigen Geräusche aus der Wohnung über ihm eingebildet habe. Dass er unter einer „wahnhaften Bedrohungsparanoia“ leide. Sie sprach von einer „Spätschizophrenie“, weil sie erst im hohen Alter aufgetreten sei. Daher habe Del B. auch im Alltag, abseits des Lärmthemas, weiter funktionieren können. Man müsse sich seine psychische Erkrankung vorstellen wie „ein Inselreich der verschobenen Realität in einer ansonsten intakten Persönlichkeit“, sagte die Gutachterin.

Dies habe es so schwer gemacht, die Tat vorherzusehen und zu verhindern. Äußerlich habe wenig auf Del B.s Störung hingedeutet. Die Schizophrenie habe nur einen Teil seiner Persönlichkeit angegriffen, weshalb er weiter ein weitgehend gewöhnliches Leben habe führen können. Dennoch stellte die Gutachterin fest: „Ohne diese Erkrankung hätte Giuseppe Del B. den Jungen nicht erschossen.“ Und sie betonte, dass von Del B. weiterhin Gefahr ausgehe. Jetzt, wo er in Haft sitze, suche sich sein Wahn andere Feindbilder. „Er muss psychiatrisch kontrolliert werden“, sagte die Gutachterin, „von Herrn Del B. geht weiterhin ein Gewaltrisiko aus.“

Am Montagnachmittag erklärt die Kammer, dass sie der Einschätzung der Gutachterin folgt. Hätte Del B. sich den Lärm nicht eingebildet, hätte er die Tat nicht begangen. Der 82-Jährige habe „eine Verzweiflung“ gespürt ob des subjektiv empfundenen Krachs, er habe aus einem Gefühl „der inneren Ausweglosigkeit“ heraus gehandelt, das durch seine Erkrankung vorursacht worden sei. Er sei deshalb nur vermindert schuldfähig und könne nicht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden. Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe sieht die Kammer nicht als erfüllt an. Sie betont aber, dass Del B. während der Tat durchaus bewusst gewesen sei, dass er gerade seinen Nachbarn umbringe, seinem Wahn zum Trotz.

Die Mutter des Sohnes ist nicht im Saal

Die Kammer spricht Giuseppe Del B. schuldig wegen Mordes und verurteilt ihn zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Er soll in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden, damit keine Gefahr mehr von ihm ausgehen kann.

Sanella F. ist nicht im Gerichtssaal, als das Urteil verlesen wird. Sie leidet seit dem Tod ihres Sohnes an Angstzuständen und Panikattacken. Die 43-jährige Sachbearbeiterin der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde ist krankgeschrieben. Sie nimmt Antidepressiva und andere Medikamente, die sie beruhigen sollen. Von einer Begegnung mit dem Mörder ihres Sohnes, ihrem ehemaligen Nachbarn, rät ihre Psychiaterin ab. 

Schon ihre Aussage hat Sanella F. zu Beginn des Verfahrens in einem Nebenraum gemacht, eine Kamera filmte mit. Das Video wurde auf einer Leinwand im Saal übertragen, den sie nicht betreten wollte. „Eine gerechte Strafe für einen 82-Jährigen gibt es nicht“, sagte sie damals. „Die Einzige, die lebenslang hat, bin ich.“