[REQ_ERR: COULDNT_RESOLVE_HOST] [KTrafficClient] Something is wrong. Enable debug mode to see the reason. Über die Schauspielerin: Was macht Sandra Hüller so besonders? Vier Wegbegleiter erklären es – Neuigkeiten für dich

Über die Schauspielerin: Was macht Sandra Hüller so besonders? Vier Wegbegleiter erklären es

„Wir fanden Sandra schon immer genial“, sagt Autor und Regisseur Bora Dagtekin. Er und drei weitere Künstler erklären, warum Sandra Hüller so einzigartig ist. 

Johan Simons

Intendant des Schauspielhauses Bochum, wo er Hüller etwa als „Hamlet“ inszenierte
© Julia Sellmann

Sandra und ich kennen einander nun schon 17 Jahre lang. Und es wird immer inniger. Angefangen hat alles in München. Ich habe damals meine ersten Theaterinszenierungen in Deutschland gemacht, auch an den Münchner Kammerspielen, wo Sandra im Ensemble war. Der Intendant Frank Baumbauer, der ein guter Menschenkenner ist, hat uns zusammengebracht. Er dachte wohl, dass Sandras vermeintlich entspannte Spielweise, ihre Seriosität und Experimentierfreude zu mir passen würden. Und damit hatte er recht. Sandra spielte die Natalie von Oranien in „Prinz Friedrich von Homburg“ von Heinrich von Kleist. Sie war damals 28, und wie heißt es in „Casablanca“ so schön: Es war „the beginning of a beautiful friendship“.

Ich weiß gar nicht, wie viele Inszenierungen wir seitdem zusammen gemacht haben. In München, bei der Ruhrtriennale in riesigen, staubigen Kohlenmischhallen, bei den Salzburger Festspielen und natürlich seit 2018 am Schauspielhaus Bochum. Sandra hat die klirrend scharfe Sprache der britischen Dramatikerin Sarah Kane zum Schweben gebracht, sie hat Elfriede Jelineks Textflächen so persönlich interpretiert, wie ich es noch nie zuvor gehört hatte, sie war eine selbstbewusste Hure Marion in „Dantons Tod“, eine so verschmitzt-souveräne wie heillos verwundbare Penthesilea. Sie hat zuletzt die hochnotkomische Verzweiflung einer phlegmatischen Gesellschaft in „Der Würgeengel“ verkörpert, wo sie noch dazu wunderwunderschön singt. Und ihr Hamlet ist bestimmt eine der besten Interpretationen, die es von dieser Rolle gegeben hat.

Simons bei den Proben zu „Prinz Friedrich von Homburg“ 2007 mit Hüller, Paul Herwig und André Jung (v. r.)
© SZ Photo

Sandra ist eine Schauspielerin, die wirklich immer im Moment ist. Im Moment denkt! Schauspiel ist die Kunst des Moments, und ich kenne keine Schauspielerin, die das so gut kann. Deshalb ist sie nach Vorstellungen auch so erschöpft. Wenn man immer ein drittes Auge hat, mit dem man sich selbst zusieht und jeden Moment prüft, was man gerade tut und sagt und denkt und fühlt, macht das müde, glaube ich. Dabei spielt Sandra immer ohne falsche Attitüde, ganz ohne Waffen, wenn man das so sagen kann. Sie ist zu jeder Zeit mit jeder und jedem verbunden. Selbst wenn niemand anderes da ist, spürt man Sandras Verbundenheit mit dem Hier und Jetzt. Zum Beispiel, wenn sie in der Pause in „Hamlet“ einfach auf der Bühne stehen bleibt. Wer schafft das, 20 Minuten auf einer Bühne zu stehen und diesen 20 Minuten ein ganzes Leben zu geben, ein Denken, eine Poesie!

Ein ganz lieber, umsichtiger und humorvoller Mensch

Sandra sagt immer, dass ich ihr sehr geholfen habe, aber ich weiß gar nicht, womit. Wahr ist: Wir sind füreinander da. Auch in schlechten Zeiten. Das ist das Kennzeichen von Freundschaft. In jüngerer Zeit sind unsere Gespräche privater geworden. Und oft auch wirklich albern. Dann schicken wir uns SMS, in denen wir uns scheinbar beklagen: „Viel zu tun.“ Mit Fotos aus der Maske oder einer schicken Hotellobby. „Viel zu tun“ ist inzwischen ein Running Gag bei uns. Oder wir schicken einander Buchempfehlungen. Meine sind oft frei erfunden: „Um die Ecke ist kein Licht“ von Mistel Kierdad oder „Warum nicht, ich bin dein Partner“ von Peter Plapperstein. Sandra hat so viel zu tun, da freue ich mich, wenn ich sie zwischendurch etwas ablenken und aufheitern kann. Zuletzt schrieb ich ihr: „Wenn du dich in Amerika langweilst, was bestimmt der Fall ist (wenig zu tun), lese: ‚Es gibt keine Ferien, es gibt nur Gott‘, ein Roman von Petra Schluffie. Ihr Mann heißt Guillaume Soufflé, ein Journalist aus Marseille, bekannt aus der Fernsehsendung ‚Litanie litala pour nous c’est tralala‘.“ Das hat ihr gefallen. Sandra ist nicht nur eine Ausnahmekünstlerin, sie ist auch ein ganz lieber, umsichtiger und humorvoller Mensch. Eine, die auch über sich selbst lachen kann. Das verbindet uns, dass wir uns selbst nicht so wichtig nehmen – einander aber sehr!

 

Bora Dagtekin

Autor und Regisseur der „Fack ju Göhte“-Reihe, in deren drittem Teil Sandra Hüller die Lehrerin Biggi Enzberger spielt
© BrauerPhotos / J.Reetz

Herr Dagtekin, Sandra Hüller ist in diesem Jahr gleich mit zwei Filmen für die wichtigsten Preise nominiert. Die beiden Filme, in denen sie eine zentrale Rolle spielt, sind das britische Historiendrama „The Zone of Interest“ und das französische Justizdrama „Anatomie eines Falls“. Was macht sie zur Frau der Stunde?
Ich denke, ich spreche für alle deutschen Kolleginnen und Kollegen, wenn ich sage: Wir fanden Sandra schon immer genial. Und ich freue mich riesig, dass sie international so gewürdigt wird. Jetzt fiebern wir bei der Preisverleihung richtig mit und drücken ihr die Daumen, genau wie auch Ilker Çatak und Leonie Benesch. Das ist wie bei der Fußball-WM, nur mit Film.

Was ist das Besondere an Hüllers Schauspielkunst? 
Eine Komödie kann genauso relevant sein wie ein subtiler Arthouse-Film. Künstlerinnen wie Sandra Hüller verkörpern einen Tanz zwischen diesen Welten und erinnern daran, dass Filmemacherinnen und Filmemacher sich nicht nach Genres und Tonalitäten spalten lassen sollten. Stattdessen sollten wir zusammenhalten und uns unterstützen, damit der deutsche Film vielfältig und stark bleibt.

Wie haben Sie Hüller kennengelernt?
Tatsächlich hat Sandra Hüller in einem Kurzfilm an der Filmhochschule mitgespielt, bei dem ich für das Drehbuch verantwortlich war. Das ist fast 20 Jahre her. Ich freue mich, dass sie das unbeschadet überstanden hat und heute so erfolgreich ist! Nein, im Ernst: Es war ein sehr lustiger Kurzfilm damals, und seitdem freue ich mich immer, wenn ich ihre Arbeiten sehe. Ich versuche, ihr zu jedem Preis zu gratulieren, aber langsam muss ich öfter googeln, um keinen zu verpassen.

Haben Sie einen Lieblingsfilm?
Einzigartig finde ich „Requiem“. Weil er diese erschütternde Geschichte nach Deutschland zurückbringt, nachdem sie bereits internationale Filme inspiriert hat.

In der Filmreihe „Fack ju Göhte“ haben einige große deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler eine besondere komödiantische Seite ihres Könnens gezeigt. Auch Hüller war dabei.
Ja, es war ein großes Geschenk, dass sie mitgemacht hat. Danke, Sandra! Und sie war eine sehr coole Lehrerin, oder? Deutsch, Sport, glaube ich. Aber ich bin sicher, sie hätte jedes Fach spielen können!

Coole Lehrerin, oder? Hüller mit Elyas M’Barek und Jella Haase in „Fack ju Göhte 3“
© Reiner Bajo/Constantin Film Verleih GmbH

Gab es besondere Momente in der Zusammenarbeit?
Sandra hatte besonders viele verrückte Momente beim Drehen mit Jella Haase. Es hat wahnsinnig Spaß gemacht, den beiden zuzusehen. Das sind zwei einzigartige Künstlerinnen, die das ganze Set mit ihrem Können verzaubern. Das kommerzielle Kino braucht dringend mehr witzige und originelle Frauenrollen.

Sie sind dabei, einen neuen Film fertigzustellen. Der Film heißt „Chantal im Märchenland“ und kommt am 28. März in die Kinos. 
Darin schlüpft Jella Haase wieder in die Rolle der Chantal aus „Fack ju Göhte“, aber diesmal stellt sie in ihrem ersten eigenen Abenteuer die Märchenwelt auf den Kopf. 

Für welche Rolle würden Sie sich Sandra Hüller wünschen?
Ich glaube, egal, wie viele Oscars sie gewinnt, sie freut sich bestimmt, wenn wir deutschen Filmemacherinnen und Filmemacher ihr weiterhin viele großartige Rollen anbieten und immer an sie denken. Ich würde mich sehr freuen, sie mal mit Jella Haase und Karoline Herfurth auf der Leinwand zu sehen. Die stern-Leserinnen und -Leser könnten mal ein paar Ideen schicken!

Ralph Mecke

Der Fotograf produzierte mit Hüller eine Titelgeschichte für das französische Magazin „Madame Figaro“
© Ralph Mecke

Schon seit Langem lebe ich nicht mehr in Deutschland und habe deshalb 2016 den Hype um „Toni Erdmann“ nicht mitbekommen, kannte deshalb auch Sandra Hüller nicht. Jahre später entdeckte ich den Film während einer langen Bahnfahrt im Entertainment-Programm. Inzwischen hatten Freunde stets mitleidig den Kopf geschüttelt, wenn sie erfuhren, dass ich diesen Film immer noch nicht gesehen hatte. Nun, während dieser Zugfahrt, verstand ich, warum: Ich konnte kaum glauben, wie Sandra in diesem Film spielt – und schließlich auch singt: Was für eine Präsenz, welch besonderer Humor!

Als ich die Anfrage erhielt, sie für das Magazin „Madame Figaro“ zu fotografieren, war ich regelrecht aufgeregt. Wie groß sie inzwischen ist, zeigte sich auch den Redakteurinnen des Pariser Modemagazins, die alles sehr bedeutsam fanden und für diese Fotoproduktion mehr Seiten eingeplant hatten als für irgendeine Schauspielerin zuvor.

Sandra Hüller auf dem Cover des Magazins „Madame Figaro“
© Ralph Mecke/ Madame Figaro

Ich fotografiere viele bekannte Persönlichkeiten und Stars, nur selten ist es so, dass jemand eine Aura hat, die einen förmlich umhaut. Bei Cate Blanchett war das so, nun auch bei Sandra Hüller. Oft täuscht man sich mit den eigenen Erwartungen, weshalb ich immer abwarte, wer da in den Raum kommt und was er privat von seiner Leinwandpräsenz zu mir ins Studio mitbringt.

Wenn Sandra Hüller vor einer Kamera steht und in sie hineinschaut, trifft dich dieser Blick, dann besteht da Augenkontakt mit dem Gegenüber, ob mit mir als Fotograf oder mit einem Millionenpublikum. Ich kann es nicht in Worte fassen, was da geschieht, wie sie diese Energie aufbaut, vielleicht ist das ihr Geheimnis.

Schauspieler haben oft eine gewisse Scheu oder gar Furcht vor einer Kamera, die nicht filmt. Mit der Filmkamera sind sie in ihrem Element, sie können sich an ihren Rollen festhalten, die Fotokamera sucht sie persönlich, was vielen unheimlich scheinen mag. Sandra hat das nicht, sie muss nicht spielen, um da zu sein. Oder aber sie lebt in ihrem sprichwörtlich eigenen Film, den sie spielerisch zum Leben gemacht hat.

Meine Frau und ich haben ein Ritual, sie ist bei den Fotoshootings zwar nie dabei, aber wir schauen uns beide Filme der Person an, diskutieren das Werk – und schauen danach auch gemeinsam auf die Bilder. Wir ahnten sofort, dass Sandra Hüller einen bestimmten Humor haben würde, den ich selbst teile. So war es auch. Es ist schwer, ihren einzigartigen Stil zu beschreiben, da ist eine trotzige Verspieltheit, und egal, welche Rolle sie in welcher Zeit darstellt, alles ist sehr wirklich, sehr real und vor allem immer sie selbst und im Jetzt verortet.

STERN PAID 05_24 Sandra Hüller Fotostrecke

In den vergangenen Jahren gab es einige deutsche Schauspieler und Schauspielerinnen, die weltweit erfolgreich waren und mit tollen Leistungen ein internationales Publikum überzeugt haben. Sandra Hüller hebt sich dennoch ab, weil sie nicht versucht, einen Hollywoodstar zu verkörpern, ein entsprechendes Klischee zu erfüllen. Sie bleibt eine deutsche Schauspielerin, ist klar eine europäische Künstlerin. Sie weiß zu glänzen, dabei aber bei sich zu bleiben. Das spürt man in den Interviews, die sie etwa auf dem roten Teppich der Golden Globes gegeben hat. Und ich hoffe, auch in meinen Bildern, die beides in sich vereinen.

 

Daniel Freitag

Der Musiker produzierte 2020 mit Hüller „Be Your Own Prince“, eine EP mit sieben Songs
© Luka Godec

Wir haben uns 2013 bei einer Theaterproduktion von Ivo van Hove an den Münchner Kammerspielen kennengelernt, wo wir auf der Bühne zusammen sangen und unsere gemeinsame Liebe für Jeff Buckley entdeckten. Seitdem schicken wir uns Musik hin und her. Musik anderer Künstler, aber auch Demos eigener Songs. Aus diesen Demos entwickelte sich Sandras Album „Be Your Own Prince“. Alles, was emotional in den Songs steckt, war in den recht einfachen Aufnahmen schon da, weshalb wir sie genau so beließen und alles drum herum bauten. Die Bandbreite der Songs ist ebenso groß wie die ihres Spiels auf der Bühne und im Film. Vom verrauschten intimen Flüstern bis zum archaischen Schrei und alles dazwischen.

Sandra ist nicht nur eine fantastische Schauspielerin, sondern eine ebenso tolle Sängerin und Songwriterin. Alles, was sie künstlerisch macht, ist gefüllt, angebunden und überraschend. Ihre Stimme lässt sofort Szenen entstehen, Figuren und Stimmungen. Schauspielerinnen und Schauspieler, die singen, stehen schnell im Verdacht, dass eher die Bekanntheit als das musikalische Talent die treibende Kraft ist. Das steht jedoch diametral zu Sandras Überzeugungen und Interessen – es gab keine Tour, keine Promotion. Die Songs sollten nur raus. 2023 sangen wir auf der Ruhrtriennale ein paar der Songs live, dazu Lieder von Eisler und einen Song von Neil Young, dessen erste Zeilen auch ein gutes Lebensmotto abgeben: „It’s gonna take a lotta love to change the way things are.“