[REQ_ERR: COULDNT_RESOLVE_HOST] [KTrafficClient] Something is wrong. Enable debug mode to see the reason. Hinter der Geschichte: Proben für den Ernstfall: Wie ich in England zur Geisel wurde – Neuigkeiten für dich

Hinter der Geschichte: Proben für den Ernstfall: Wie ich in England zur Geisel wurde

Ein Bootcamp soll mich auf meinen Reportereinsatz im Kriegsgebiet vorbereiten. Ich weiß nun, wie man abgetrennte Gliedmaßen verarztet, in welchem Stockwerk ich meine Hotelzimmer buchen soll und wie es sich anfühlt, entführt zu werden. Muss das sein? Ja. 

Making-of heißt unser neues Format. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen und von unseren Recherchen. Heute mit stern-Auslandsreporter Fabian Huber.

Mit jedem Atemzug kämpft die Lunge ein bisschen mehr, saugt mein Mund die kratzige, schwarze Haube an, die man mir über den Kopf gestülpt hat. Kabelbinder schneiden sich in meine hinter dem Rücken zusammengebundenen Handgelenke, schnüren den Fingern das Gefühl ab. Wie lange ich hier schon stehe, atemlos, handtaub, blind, den Kopf in der Rille einer Wellblechwand vergraben? Eine Stunde vielleicht? Anderthalb? Ich weiß es nicht. Die Zeit zerfließt. Als ich die röchelnde japanische Reporterkollegin neben mir frage, ob alles in Ordnung sei, gemessen an den Umständen, schlägt einer unserer Bewacher mir den Schaft seiner Kalaschnikow in die Flanke und brüllt: „Halt deine Fresse!“ 

Es ging dann alles gut aus. Die Kalaschnikows waren Ausstellungsstücke, meine Peiniger trainierte Militärs von Nato-Verbündeten, der Ort des Geschehens war die Hügelpampa Westenglands und nicht der Hindukusch, die Entführung nur Teil einer Übung gewesen. Eine Stunde, nachdem man meine Fesseln aufgeschnitten hatte, saß ich schon wieder in einem fußbodenbeheizten Konferenzraum zur Nachbesprechung: Wie hatten wir uns geschlagen als Geiseln? Hatten wir kurz zuvor den abgerissenen Fuß unseres Kontaktmanns einigermaßen lebenserhaltend versorgt? Und war es clever gewesen, die Grenzposten zu bestechen? 

Planspiel Krieg: Beim Sicherheitstraining in England sollte Fabian Huber (l.) ein Interview dicht hinter der ukrainischen Frontlinie führen. Wenig später wurden er und die anderen Kursteilnehmer „entführt“
© Fabian Huber

Ausbildung für den Ernstfall oder anders gesagt – für Geschäftsreisen unter Extrembedingungen

Nein, ich habe mich nicht um die Aufnahme bei der GSG9 bemüht, sondern eine – wie soll man das nennen – Fortbildung gemacht? Einen Crashkurs für Reporter, die in Kriegs- und Krisengebiete geschickt werden. 

Qua Stelle im Auslandsressort des stern umfassen meine möglichen Einsatzgebiete: Erdbeben in der Türkei, Spannungen in Bergkarabach, Krieg in Nahost. Es sind Geschäftsreisen unter Extrembedingungen. Routen müssen geplant, Risiken abgewogen, Notfallpläne ausgetüftelt werden. Was etwa machen, wenn der Ben-Gurion-Airport in Tel Aviv, Israels einziger internationaler Flughafen, plötzlich dichtgemacht wird? Der vielversprechendste Fluchtweg würde dann stundenlang mit dem Auto durch die Negevwüste und schließlich über die jordanische Grenze in die Stadt Akaba führen. 

Eine Schusswunde in der Brust? Hatten wir noch nie zuvor gesehen

Eine Sicherheitsgarantie gibt es nie bei solchen Einsätzen. Erst kürzlich wurde ein Team des ZDF durch einen russischen Raketenangriff auf ein Hotel im ostukrainischen Charkiw schwer verletzt. Aber genau deshalb schadet es nicht, bestmöglich vorbereitet zu sein auf alle Eventualitäten, zu wissen, was im Ernstfall zu tun und wann ein Risiko lieber nicht einzugehen ist. Darum also: das Sicherheitstraining in England

Wir sind ein bunter, internationaler Haufen Reporter, einquartiert in einem restaurierten Gehöft, am Horizont die Berge von Wales, aber jetzt im Blick gerade nur blutige Videos. Niemand von uns hatte bisher eine blubbernde Brustschusswunde gesehen, auf Englisch „sucking chest wound“, in der Mediziner-Fachsprache: offener Pneumothorax. So oder so: lebensgefährlich und ein ziemlich unschöner Anblick. Da ist Humza, der zukünftige Pakistan-Korrespondent der Financial Times. Madoka, die von der japanischen Zeitung Nikkei in die Ukraine geschickt wird. Fotografin Zoe, die von England nach Kenia laufen will, täglich mehr als einen Marathon. Kameramann Andrew, für das australische Öffentlich-Rechtliche im nicht mehr ganz so friedlichen Europa stationiert. Und meine Kollegin Katharina Kunert und ich, die für den stern unter anderem aus Israel berichten sollen. 

Requisiten: Schusswunden, Stichwunden, offene Brüche
© Fabian Huber

„Muss das sein?“, fragen mich meine Freunde zu Hause oft. Hinzufliegen, wenn alle anderen rausfliegen, wenn das Auswärtige Amt Warnhinweise an deutsche Staatsbürger mailt und Evakuierungsflüge vorbereitet? „Kann man nicht auch aus Deutschland berichten?“ 

„Ja, muss“, sage ich dann immer. „Und nein, kann man nicht.“

STERN PAID 03_24 Norden Israel 20:25

Ich hasse Floskeln, aber oft sind Floskeln ja auch zurecht Floskeln, weil sie die Wirren der Welt entknoten und auf einen einprägsamen Punkt bringen. „Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit“, ist so ein Spruch.

Die Ukraine gerät im Netz unter Dauerbeschuss von russischen Propagandisten. In Israel tobt seit Monaten auch ein Krieg der Bilder, die schrecklichen Fotos aus Gaza haben die schrecklichen Fotos aus den Kibbuzim abgelöst. Das israelische Militär versucht sein Narrativ deshalb durch geführte Pressetouren ins Kampfgebiet aufrechtzuerhalten. Die Teilnehmer sehen Hamas-Tunnel, aber keine leidenden Zivilisten. 

Sollte ich je einen Menschen wiederbeleben müssen, denke ich in Zukunft an die Bee Gees

Diese Eindrücke einschätzen zu können, geradezurücken, zu kontextualisieren und das Leid, die Trauer, die Wut der Menschen selbst zu spüren – das alles geht nicht, ohne vor Ort zu sein. Dass Gaza mit Ausnahme der gesteuerten Armeeführungen auch für uns Journalisten unzugänglich bleibt, ist frustrierend. Wir würden gerne mehr berichten. Aber wir können nicht. Der stern steht noch auf der Warteliste der Israelis. 

Sollte es soweit kommen, weiß ich nach England zumindest:  Ein Baum schützt erst vor Schüssen, wenn er über 50 Zentimeter dick ist. Der Gefahrenradius eines Sprengstoffgürtels beträgt erfahrungsgemäß 100 Meter. Mein Hotelzimmer in Tel Aviv werde ich zwischen dem dritten und dem sechsten Stock buchen, hoch genug, um für unliebsame Gäste nicht sofort erreichbar zu sein, niedrig genug für die allermeisten Feuerwehrleitern. Und sollte ich je einen Menschen wiederbeleben müssen, denke ich an die Bee Gees – „ah, ha, ha, ha, stayin‘ alive“, 104 Schläge pro Minute, der perfekte Rhythmus für eine Herzdruckmassage.