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Stadtplanung: Städte sind für Männer gebaut

Ein dunkler Tunnel, ein eingezäunter Bolzplatz, eine Verkehrsinsel, zu schmal für den Kinderwagen: Räume, die Mann nutzt und Frau oft vermeidet. Müssen wir radikal umbauen?

Männer und Frauen bewerten öffentliche Räume vollkommen unterschiedlich. In nahezu jeder Stadt gibt es Orte, die bei Frauen als regelrechte Angsträume verschrien sind. Stadtforscherin Dr. Mary Dellenbaugh-Losse untersucht, wie Städte ein sicherer und nutzbarer Ort für alle werden können. Ihr Ansatz: gendergerechte Stadtplanung.

Frau Dellenbaugh-Losse, was meinen Sie, wenn Sie von „gendergerechter Stadtplanung“ sprechen?
Gendergerechte Stadtplanung ist nichts anderes, als an der User-Experience einer Stadt zu tüfteln. Wir schauen uns an, wie wir die Städte für unsere Omas, unsere Ehefrauen, unsere Schwestern oder unsere Töchter einfach ein bisschen besser, sicherer und zugänglicher machen können. Das sind immerhin Probleme, die die Hälfte der Bevölkerung betreffen. 

Beim Wort „Gender“ schrillen bei einigen Menschen sicherlich direkt die Ideologie-Alarmglocken.
Als US-Amerikanerin liegt mir das Wort „Gender“ vielleicht leichter im Mund. Aber mit „Gender“ möchte ich eigentlich sagen, dass es nicht um biologische Unterschiede geht, sondern um die Erwartungen, Rollen und Lebensrealitäten, die mit dem Geschlecht, aber auch mit unserem Alter oder dem Behindert-Sein oder Nicht-Behindert-Bein verknüpft sind. Im Prinzip bedeutet das, Menschen da abzuholen und zu verstehen, wo sie sind. Was gefällt mir an meiner Stadt, was nicht? Um welche Orte mache ich einen Bogen, welche Orte meide ich komplett? Wann gehe ich nicht mehr vor die Tür und warum? Das ist keine Ideologie, das ist Pragmatismus.

Zur Person

Würden Sie sagen, dass Städte heute für Männer gebaut sind?
Stadtplanung war ein wichtiges Thema in den 50er- und 60er-Jahren. Die Menschen, die die Städte damals geplant haben, waren de facto Männer. Und die haben für sich und ihre eigene Realität eines arbeitenden, autofahrenden Mannes geplant. Das ist aber kein Schuldspruch an Männer. Dass Städte heute so sind, wie sie sind, liegt an Unwissenheit und nicht am Unwillen.

Wie meinen Sie das?
Städte sind historisch gewachsene Strukturen, die manchmal nicht mehr an die heutige Realität angepasst sind. Beim Wiederaufbau in der Nachkriegszeit galt die Trennung von Wohnen und Arbeiten als modern, Autofahren war das Nonplusultra, Frauen blieben zu Hause. Heute hat sich unser Denken geändert, unsere Städte sich aber oft nicht.

Es gibt viele Städte, die nicht wissen, dass sie problematische Orte haben. 

Wo sind Städte denn beispielsweise ungerecht aufgebaut?
Städte sind nicht für Fußgänger oder Menschen im Rollstuhl optimiert, sondern für den Autoverkehr. Das spürt man etwa, wenn der Kinderwagen wieder nicht auf die Verkehrsinsel passt oder es keinen Aufzug zur U-Bahn-Station gibt. Oder mein Lieblingsbeispiel: öffentliche Toiletten. Während Männer oft einfach wildpinkeln, sind Frauen auf Toiletten angewiesen. Und die kosten entweder, oder es gibt keine. Gerade in Pandemiezeiten hat man gemerkt, wie Frauen sich in einem Zwei-Stunden-Radius um ihre Wohnung aufhalten mussten. Einfach, weil Cafés geschlossen hatten und es keine andere Möglichkeit gab, draußen auf Toilette zu gehen.

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Unterscheiden sich die Wege zwischen Männern und Frauen denn grundsätzlich?
Ja. Männer sind eher länger und linear unterwegs. Das heißt, ein Mann steigt ins Auto und fährt in die nächste Stadt, um da arbeiten zu gehen. Und fährt dann abends wieder zurück. Frauen legen viel mehr Wege zurück, die aber insgesamt kürzer sind. Wir nennen das auch Wege-Verkettung. Das meint: Auf dem Weg von zu Hause zur Arbeit und zurück ist so viel zu erledigen, dass Frauen versuchen, in einer logischen Kette einen Ort nach dem anderen aufzusuchen.

Die Strecken von Frauen (l.) sind oft vernetzter und dichter als die von Männern (r.) – das kostet Zeit. Helfen soll die 15-Minuten-Stadt: Hier sollen alle wichtigen Orte in einer Viertelstunde erreicht werden können
© Felix Kumpfe

Ihre Antwort darauf ist die 15-Minuten-Stadt.
Genau. Das heißt, wir überlegen uns, wie wir eine Stadt aufbauen können, in der alles innerhalb von 15 Minuten erreichbar ist, am besten fußläufig oder mit dem Fahrrad. 

Wie bewusst ist man sich dieses Themas in Deutschland?
Sagen wir es diplomatisch: Es gibt viele Städte, die nicht wissen, dass sie problematische Orte haben. Und sie wissen das nicht, weil deren Beteiligungsformate das nicht hergeben oder viele Menschen nicht das Gefühl haben, dass sie das ansprechen können. Ich erfahre total oft, dass ich irgendwo hinkomme und dann auf einmal 20 Frauen um mich herumstehen, die untereinander ihren Lieblings-Hassort nennen. Da sind vor allem Stadtrat oder Stadtbaurat oft sehr überrascht.

Es muss nicht unbedingt kompliziert oder teuer sein, um Wirkung zu zeigen.

Wir können doch aber nicht eine ganze Stadt abreißen und neu aufbauen.
Darum geht es auch nicht. Schon kleine Dinge können Großes verändern. Nehmen wir die Stadt Chemnitz. Dort gibt es einen 217 Meter langen, denkmalgeschützten Tunnel. Eigentümerin ist die Deutsche Bahn, also nicht mal die Stadt selbst. Und in dem war es lange sehr gruselig und unsicher. In Chemnitz wurde er auch die „Bazillen-Röhre“ genannt, weil er heruntergekommen und schlecht beleuchtet war. Eigentlich ein schwieriger Fall. Der Tunnel wurde in der Folge weiß angestrichen und eine nach oben gerichtete, durchgehende Beleuchtung eingebaut. Das waren zwei kleine Änderungen, und seitdem wirkt der Tunnel viel höher, weniger furchteinflößend und lädt zum Durchgehen ein. Es muss nicht unbedingt kompliziert oder teuer sein, um Wirkung zu zeigen.

Haben Sie ein anderes Beispiel?
Ja, sprechen wir doch über Plätze für Jugendliche. Da haben wir meistens nur zwei Ideen: Skatepark und Bolzplatz. Und beide dieser Räume werden überdurchschnittlich von Männern und Jungs im Anspruch genommen. So ein typischer Bolzplatz – umzäunt und mit einem Ein- oder Ausgang – ist vor allem für sehr selbstbewusste Nutzende ansprechend. Solche, die sich trauen, mitten auf dem Platz zu preschen, wo alle sie sehen können. Und das sind nicht alle Jungs und das sind auch nicht alle Mädchen. 

Kurz zuschauen, ausruhen, oder die Tasche abstellen: Ein Bolz- oder Spielplatz mit Sitzmöglichkeiten oder einer Tribüne könnte den öffentlichen Raum inklusiver für alle machen
© Felix Kumpfe

Wie verwandelt man den Bolzplatz in einen Raum, der für alle da ist?
Möglich wären Sitzmöglichkeiten oder eine kleine Tribüne, damit Menschen sich setzen können, die kurz eine Pause brauchen. Oder um einen Platz für Schüchterne zu kreieren, die vielleicht den Moment abwarten, dass die anderen ihn zurufen, ob sie mitspielen wollen. Ein zweiter Ein- oder Ausgang kann das Sicherheitsgefühl steigern, besonders Frauen fühlen sich dann nicht so schnell eingeschlossen. Mit einem kleinen Weg oder einer ebenen Fläche um den Bolzplatz herum könnten dort auch andere Menschen joggen oder walken gehen. Menschen mit Kinderwägen oder Rollatoren könnten sich setzen und zusehen. 

Klingt teuer.
Es reicht einfach nicht, immer wieder Schema F zu machen, weil wir das immer so gemacht haben. Wenn wir öffentliche Gelder dafür nutzen, um öffentliche Räume zu bauen, die nur von einem Teil der Gesellschaft benutzt werden, dann ist das ungerecht.

Wenn Sie eine Stadt bauen könnten, wie sähe die aus?
Ich würde auf die Nutzungsmischung achten. Ich komme aus der Nähe von New York City. Ab 18 Uhr waren bestimmte Teile von Manhattan reine Bürogettos, wo alle arbeiten, aber niemand schläft. Das sind Angsträume mitten in der Stadt. Deswegen würde ich belebte Erdgeschosszonen über reinen Wohngebäuden priorisieren und darauf achten, dass beispielsweise Büros und Hotels in einem Hochhaus vereint sind.