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GDL-Chef: Bahnstreik, na und? Claus Weselsky macht einen guten Job

Sein Bahnstreik nervt wahnsinnig. Er hat notorisch schlechte Laune. Und dann sächselt sich der Chef der Lokführergewerkschaft auch noch fast jeden Abend durch unsere „Tagesschau“. Trotzdem ist jetzt mal eine Ehrenrettung fällig – eine Ehrenrettung für Claus Weselsky. 

 

Viele fluchen in diesen Tagen über den Chef der Lokführergewerkschaft. Die Bahnvorstände sowieso, aber auch zahlreiche Geschäfstreisende oder Berufspendler, die in Bussen und Bahnen zusammengepfercht ihr Ziel erreichen müssen. Ich weiß, wie sich das anfühlt, eine dreiviertel Stunde im Stehen, Backe an Backe im Bus der Berliner Verkehrsbetriebe.

Die Frage ist nur: Was bedeutet das alles? Ganz einfach: Dass Weselsky einen verdammt guten Job macht. Denn das ist sein Job: die Interessen der Beschäftigten vertreten, für die er Gewerkschaftsboss ist. Ja, der Streik nervt und er ist teuer: Pro Tag verliert die deutsche Volkswirtschaft 100 Millionen Euro, haben schlaue Ökonomen ausgerechnet. Aber, mit Verlaub: Genau das ist doch der Sinn der Veranstaltung! Ein Streik, der nicht wehtut, ist kein Streik.

Wo bleibt sie denn nun, die schöne bundesdeutsche „Sozialpartnerschaft“, in der wir uns doch angeblich die letzten Jahrzehnte so gemütlich eingekuschelt hatten? Werden die braven Deutschen jetzt etwa nach den Bauernprotesten und mitten im Eisenbahnerstreik zu den neuen Franzosen?

STERN PAID Interview Weselsky16:47

Ein höchst scheinheiliges Konstrukt

Genau genommen war die „Sozialpartnerschaft“ immer ein höchst scheinheiliges Konstrukt. Es geht nicht in erster Linie um „Partnerschaft“ – sondern um Verteilungskonflikte. Die einen wollen die Arbeitskosten so niedrig wie möglich halten, etwa für mehr Kapitalrendite; die anderen wollen mehr Lohn oder Gehalt, um zum Beispiel ihre Miete zu bezahlen – beide wollen also mehr vom selben Kuchen. So gesehen kann es keine „Partnerschaft“ geben. Daran kann auch Herr Weselsky nichts ändern – selbst, wenn er noch so „woke“ daherkommen würde. 

Nennen wir das Ganze doch lieber: soziale Kämpfe. Denn das sind sie. Weselsky kämpft diesen Kampf. Es ist der letzte große seines Lebens. Und er reißt durch seine Auftritte den Schleier einer verlogenen Rhetorik von der ganzen Veranstaltung. „Wir sitzen doch alle im selben Boot?“ Nein, wir sitzen nicht alle in demselben Boot. Die Beschäftigten eines Unternehmens (hier: die Lokführer) haben andere Interessen als die Eigentümer des Unternehmens (hier: der Bund). 

Andere wären auch mal dran? Andere können nur neidisch auf die Lokführer blicken, weil sie keinen Tarifvertrag haben, vielleicht noch nicht mal einen Betriebsrat, und mit Niedriglöhnen abgespeist werden? Das stimmt – aber wieso sollte das eine Elend ein anderes rechtfertigen? Sollen die Lokführer schön brav sein, damit am Ende alle gleich viel haben, nämlich: gleich wenig? Das wäre dann Sozialismus – auf niedrigstem Niveau. Einer, für den sich sogar noch der raffgierigste Kapitalist begeistern könnte.

Wer profitiert vom Bahnstreik? 18.21

Weselskys Kampf kann auch anderen helfen

Angesagt wäre jetzt anderes: dass endlich wieder Tarifverträge Standard werden, vor allem in Ostdeutschland. Und dass Unternehmen sich nicht um die Gründung von Betriebsräten drücken können. So gesehen kämpft Weselsky einen Kampf, der auch anderen Branchen zugutekommen könnte. Er zeigt auf, dass der Arbeitsmarkt sich grundlegend neu sortiert. In Zeiten des demografischen Wandels suchen viele Unternehmen verzweifelt Arbeitskräfte. Wer sie schlecht behandelt, wird künftig keine mehr finden. Die Machtbalance zwischen Arbeit und Kapital verschiebt sich zugunsten der Arbeit. Das gilt nicht nur für die Bahn, die schon jetzt zu wenig Lokführer hat. 

Weselsky macht klar: Jetzt ist Schluss mit der Turbo-Liberalisierung und der Entrechtung von Arbeitnehmern. Menschen, die im Lager von Amazon schuften, die als Paketboten durch die Gegend hetzen oder bei Lidl an der Kasse sitzen, haben daher viel öfter Verständnis für die Lokführergewerkschaft, als man glauben möchte. Denn sie wissen, dass die Lokführer einen Kampf kämpfen, den sie jetzt vielleicht noch nicht kämpfen können, der ihnen aber möglicherweise in der Zukunft noch bevorsteht. 

Ein Gewerkschaftsführer ist kein Bittsteller

Und die Rhetorik des GdL-Chefs? Nun gut, er hat Bahnmanager auch schon mal als „Nieten im Nadelstreifenanzug“, „Lügner“ oder „Vollpfosten“ deklariert. Aber soll ein Gewerkschaftsführer in seinen Verhandlungen jetzt etwa verständnishubernd daherkommen? I feel you – aber ich hätte gerne etwas mehr Geld für meine Leute. Nur ein ganz kleines bisschen. Du, können wir darüber mal reden? Wäre das okay für Dich? 

Nein, Herr Weselsky ist Gewerkschaftsführer, kein Bittsteller! Gehälter und Arbeitsbedingungen werden nicht erbettelt, sie werden gefordert. Ob sie durchzusetzen sind, ist eine ganz andere Sache. Aber gab es auf diesem Erdball schon mal einen Arbeitgeber, der gesagt hat: „Oh, wie schön, dass Sie gekommen sind. Wir wollten mit Ihnen schon lange über eine Anhebung Ihres Gehalts sprechen?“ Der muss noch erfunden werden.

23: MegaBahnstreik der GDL Wirtschaft erwartet massive Schäden – 190be977e18dd04c

Höhere Gehälter? Passen nie „in die Landschaft“ 

Stattdessen bekommen Beschäftigte gern schönste Management-Lyrik verabreicht – lernt man die eigentlich auf diesen ganzen Führungskräfteseminaren, zu denen sich die höheren Herrschaften gerne tagelang zurückziehen, vorzugsweise in Seminar-Hotels mit Wellness-Oase? „Im Moment ist es leider ganz schlecht, aber wir wissen, dass das ein wichtiges Thema für Dich ist.“ – „Wir haben das auf dem Schirm.“ – „Du weißt schon, das schwierige Marktumfeld.“ Oder, auch gerne genommen: „Die Transformation fordert jetzt von uns allen die ganze Kraft.“

Irgendwie ist es immer gerade ganz schlecht. Irgendwie passt es gerade nie „in die Landschaft“. Darauf möchte Herr Weselsky nicht warten, dass seine Forderungen mal „in die Landschaft passen“. Und das ist ziemlich gut so.

Kein Vermieter sagt zum Mieter: Ich verzichte die nächsten drei Monate auf die Miete, weil die Zeiten so hart für Sie sind. Kein Energiekonzern senkt die Preise, weil die Leute nicht mehr wissen, wie sie Strom und Gas bezahlen sollen. Jeder bekommt seine Rechnungen und jeder muss sie bezahlen – übrigens auch die Lokführer. Man nennt das Ganze auch: Kapitalismus. Und solange das so ist, erwartet man ausgerechnet von Weselsky, dass er sich nicht an diese Regeln hält, sondern sich in Bescheidenheit übt?

Auch die Fünf-Tage-Woche musste erkämpft werden

Französische Verhältnisse? Alles, was die Arbeitnehmer-Bewegung in Deutschland durchgesetzt hat, wurde erkämpft. Zum Beispiel die Fünf-Tage-Woche mit dem freien Samstag. Unvergessenen die dazugehörige Kampagne: „Samstag gehört Vati mir!“ Oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für Arbeiter, nicht nur für Angestellte. Dafür traten die Metallarbeiter am 24. Oktober 1956 in Norddeutschland flächendeckend in den Ausstand. Streikbrecher? Bekamen von der Belegschaft vorm Werkstor einen Satz warme Ohren. Die Solidarität hielt. Die Lohnfortzahlung wurde durchgesetzt. Es war der längste und umfangreichste Ausstand in der Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung: 114 Tage, 16 Wochen. Bisschen mehr als die sechs Tage jetzt bei der GdL, oder?

Popularität Bahnstreik12:43

„Es wird zu wenig gestreikt in diesem Lande.“

Und was die Rhetorik betrifft: bitte jetzt keine falschen, weil geheuchelten Empfindlichkeiten. Es gab mal einen Gewerkschaftsboss, Detlef Hensche, der langte noch ganz anders hin. Er war Chef der IG Druck und Papier (ja, so etwas gab es mal!). 1976 machte er in Frankfurt am Main auf der großen Maikundgebung klar, wo der Hammer hängt: „Wenn die Kapitalisten den Machtkampf wollen“, so Hensche, „müssen die Gewerkschaften zurückschlagen.“ Hensche ist übrigens gerade gestorben. Nicht ohne eine gewisse Altersmelancholie blickte er zuletzt auf die großen Kämpfe seines Lebens zurück und stellte fest: „Es wird zu wenig gestreikt in diesem Lande.“

Also, lieber Herr Weselsky, lassen Sie sich nicht irre machen. Sie sind kein „machtbesoffener Gewerkschaftsboss, der die große Show liebt“, wie der „Spiegel“ schreibt (wobei die Show Ihnen schon ein bisschen Spaß macht, stimmt’s?). Sie sind der Interessenvertreter jener Menschen, die ganz vorne im Zug sitzen und uns – hoffentlich bald wieder – sicher ans Ziel bringen, bei Tag und bei Nacht. Und diesen Job machen Sie ziemlich gut.

In diesem Sinne: Vorwärts, Herr Weselsky! Und nicht vergessen, worin Ihre Stärke besteht! Nämlich darin, dass Sie nicht von allen gemocht werden wollen.