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1923 vs. 2024: Protestierende sorgen sich um die Demokratie: Ist die Bundesrepublik so gefährdet wie in Weimar?

Mehr als eine Million Menschen haben gegen Rechtsextremismus und die AfD demonstriert. Schilder wie „AfD wählen ist so 1933“ zogen mehrfach den Vergleich zur Weimarer Republik. Ist Die Angst vor dem Verlust der Demokratie scheint viele umzutreiben.  das berechtigt?

Professor Floris Biskamp ist Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher an der Universität Tübingen. Er beobachtet die Alternative für Deutschland (AfD) seit Jahren und forscht derzeit zur „Aushandlung von Sagbarkeitsgrenzen in politischen Diskursen“.

Herr Biskamp, ist unsere Demokratie durch die AfD gefährdet?
Ja. Demokratie heißt nicht nur, dass alle vier Jahre gewählt wird. Demokratie heißt auch, dass die Freiheit und Gleichheit aller Menschen in einem Land gewährleistet ist. Diese Vorstellung greift die AfD an. Es gibt im Umfeld der Partei Konzepte, die sich gegen unabhängige Medien und gegen eine unabhängige Justiz richten. Insofern ist die Demokratie gefährdet. Aber nicht wie in der Weimarer Republik, sondern eher wie in Ungarn oder in der Türkei.

Bei den aktuellen Protesten gegen Rechtsextremismus und die AfD gibt es diese Vergleiche. Einige halten Schilder mit Aufschriften wie: „Jetzt können wir erfahren, was wir an Stelle unserer Großeltern getan hätten“, oder „AfD wählen ist so 1933“. Sind die Vergleiche zur Weimarer Republik gerechtfertigt oder ist das überzeichnet?
Wissenschaftlich betrachtet gibt es große Unterschiede. Sowohl zwischen der AfD und der NSDAP als auch zu dem Zustand der Demokratie in der Weimarer Republik Anfang der 1930er Jahre und dem Zustand der Bundesrepublik heute. Aber Demonstrationsschilder sind keine sozialwissenschaftlichen Artikel, die wollen zuspitzen und verdichten. Es ist klar, dass die AfD eine rechtsextreme Partei ist, die die Grundwerte der Verfassung in Frage stellt. Das sollte auch so benannt werden.STERN PAID C+ Wirtschaft und AfD19.06

Der versuchte Hitler-Putsch, gesellschaftliche Polarisierung, die Hyperinflation – 1923 war ein Krisenjahr. 2023 aber durchaus auch. Inwiefern unterscheidet sich die Situation politisch und gesellschaftlich?
Ich würde drei Unterschiede benennen. Erstens stützen alle großen Parteien die Republik, von der Partei Die Linke bis zur Union. Ein Fragezeichen setze ich bei der AfD. Alle anderen bekennen sich zum Grundgesetz, der repräsentativen Demokratie und den Menschenrechten. Das war in der Weimarer Zeit anders. Damals gab es ein schmales, demokratisches Spektrum aus Sozialdemokratie, Zentrum und liberalen Parteien. Die KPD wollte zwar eine Republik, aber nicht unbedingt die Weimarer. Und es gab die NSDAP und Teile des deutschen Konservatismus, die sich eine andere Gesellschaft gewünscht haben. Diese Rolle der Konservativen ist heute eine andere. Die CDU will nicht die Republik umstürzen.

Welche Unterschiede gibt es noch?
Zweitens gab es damals einen destabilisierenden Faktor, den es heute in der Form nicht gibt, und das ist die Schwungmasse der Faschismus-Anhänger. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es eine große Zahl von jungen Männern, die vier Jahre lang in den Schützengräben gelegen hatten und arbeitslos, verletzt oder traumatisiert waren. Diese Menschen hatten ein anderes Verhältnis zu politischer Gewalt und waren nicht im bürgerlichen Leben angekommen. Wir haben auch heute gewaltbereite, teils bewaffnete Neonazis. Aber in einem anderen Umfang. Deshalb ist die Fantasie eines faschistischen Umsturzes kaum möglich.

Und drittens?
Unsere Wirtschaft ist anders aufgestellt. In Deutschland gibt es die verbreitete Fehlwahrnehmung, die Hyperinflation hätte zum Nationalsozialismus geführt. Das ist falsch. Die Hyperinflation war 1923, danach kamen die besten Jahre der Weimarer Republik. Die Weltwirtschaftskrise folgte 1929 nach dem Zusammenbruch der New Yorker Börse. Der radikale Sparkurs danach hat die Krise zugespitzt und zu Deflation und Massenarbeitslosigkeit geführt. Das hat den Zerfall der Republik beschleunigt, weil viele Menschen dachten, man bräuchte etwas radikal anderes. Das sehe ich heute so nicht, auch wenn in Deutschland die Idee noch sehr verbreitet ist, dass Sparpolitik etwas Gutes ist. Aber in Zeiten wie der Coronakrise hat man gesehen, dass der Staat trotz Schuldenbremse Geld in die Hand genommen hat. Ich hoffe, diese Vernunft hält sich.

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Trotzdem hat die Ampel-Koalition insbesondere durch die FDP während der Haushaltskrise ins Spiel gebracht, bei sozialen Projekten und dem Bürgergeld zu kürzen. Auch heute wird versucht, zu sparen.
Da stimme ich zu. Das birgt Sprengstoff, weil suggeriert wird, man müsste immer jemandem etwas wegnehmen: Klimapolitik oder Agrarsubventionen für Landwirte als Beispiel. Immer mehr Ökonominnen und Ökonomen teilen die Erkenntnis, dass die Schuldenbremse in Deutschland irrational ist, weil sie Handlungsmöglichkeiten nimmt. Dass man sich als Betroffener dann bei anderen Parteien umsieht, ist eine naheliegende Folge.

Gab es denn zu Zeiten der Weimarer Republik größere Proteste, die an die aktuelle Situation anknüpfen können?
Ja, das zeigt eine gewisse Tragik. Im Januar der Machtergreifung 1933 gab es große Demonstrationen gegen die NSDAP. Es gab auch handgreifliche Auseinandersetzungen auf den Straßen zwischen den Nazis und ihren Gegnerinnen und Gegnern. Aber das allein half nichts, weil die NSDAP die Macht im Staat erobert hatte. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass Demonstrieren an sich nichts bringt.

Was bringt es denn?
Es ist ein gutes Zeichen, dass so viele Menschen zeigen möchten, dass sie gegen die AfD sind. Aber wenn die Proteste nach einer Woche aufhören, wäre der Effekt begrenzt. Die Frage ist, welche Folgen die Proteste haben. Schämen sich Menschen in Zukunft, die AfD zu wählen, weil sie kritisch von ihrem Umfeld angesprochen werden? Führt es dazu, dass die CDU eine zu große Nähe zur AfD als zu riskant einstuft und sich stärker abgrenzt? Denn das Verhalten der CDU, insbesondere in ostdeutschen Ländern, in denen dieses Jahr gewählt wird, ist entscheidend für die Zukunft der AfD.Reaktionen Correctiv15:39

1933 waren konservative Kräfte Steigbügelhalter für die NSDAP. Das heißt, diese Verlockung sehen sie bei der Union beispielsweise nicht?
Es gibt wesentliche Unterschiede, man darf sich aber nicht blenden lassen. Die CDU steht in Ostdeutschland vor dem Dilemma, dass sie die AfD gerade da integrieren könnte, wo sie am radikalsten ist. In Thüringen steht die CDU faktisch vor der Alternative, mit den Linken oder mit der AfD zu kooperieren. Wenn man die Parteiprogramme vergleicht, wird deutlich, dass die CDU mit der AfD mehr gemeinsam hat. Beispiele gibt es mit dem Grundsteuerfreibetrag in Thüringen, den beide Parteien wollen, die anderen aber nicht. Das kann dazu führen, dass die AfD wie eine normale Partei wirkt, obwohl sie das in anderen Bereichen ihrer Politik nicht ist.

In Ländern wie der Türkei, Polen oder Ungarn sehen wir, welche Politik Parteien wie die AfD verfolgen. Es gibt dort keinen großen Umsturz wie 1933 in Weimar. Aber die Parteien höhlen die Demokratie langsam aus. Graduell wird die Freiheit der Medien eingeschränkt, die unabhängige Justiz zurückgefahren. Das ist auch bei der AfD ein Risiko.

Schon beim Bundesparteitag im August 2023 sagte die AfD ganz offen, dass sie Millionen von Menschen aus Deutschland vertreiben will. Damals gab es kaum Widerspruch. Was hat sich geändert?
Mein Eindruck ist, dass das Unbehagen in der Bevölkerung gewachsen ist, als die Umfragewerte der AfD angestiegen sind. Die Mehrheit der Deutschen ist gegen die Positionen der AfD. Nun war die Correctiv-Recherche eine Art Auslöser für diejenigen, die sich schon vorher einbringen wollten und jetzt einen Anlass sehen, gemeinsam etwas zu tun. Natürlich sind eine Million Protestierende bezogen auf 83 Millionen Menschen in Deutschland eine Minderheit. Aber es sind beeindruckend viele Leute, das passiert sonst fast nie. Viele haben offenbar große Sorge, dass die AfD mehr Macht bekommt und gehen deshalb auf die Straße.

Das Dilemma der AfD ist, dass sie sich möglichst extrem gegen Migration positionieren muss, um sich von anderen Parteien zu unterscheiden. Nun verfolgen aber auch andere Parteien eine striktere Migrationspolitik. Davon muss sich die AfD abgrenzen. Sie darf aber auch nicht offen verfassungswidrige Positionen vertreten, sonst könnte sie ihren eigenen Verbotsantrag schreiben und das will sie nicht. Die Correctiv-Recherche hat diese Strategie verhagelt und viele Leute wachgerüttelt.Debatte um AfD-Verbot18.05

Unsere wehrhafte Demokratie ist auch ein Resultat aus den Erfahrungen der Weimarer Republik. In Petitionen wird gefordert, ein Verbotsverfahren einzuleiten oder die Grundrechte von Björn Höcke zu entziehen. Wäre das aus Ihrer Sicht der richtige Schritt zum Umgang mit dieser Partei?
Ich bin kein Jurist. Beides sind keine Entscheidungen, die von Petitionen abhängen, sondern vom Bundesverfassungsgericht. Björn Höcke ist ein Rechtsextremer und mir wäre wohler, wenn er weniger politischen Einfluss hätte. Aber die AfD ist nicht auf ihn angewiesen. Das Verbotsverfahren schätze ich anders ein. Schwierig macht diesen Prozess, dass die verfassungswidrigen Inhalte der AfD nicht im Parteiprogramm stehen, sondern zum Beispiel durch journalistische Recherchen veröffentlicht werden müssen. Die anderen Parteien müssen die AfD stellen und die Herausforderungen politisch angehen.

In Deutschland demonstrieren Politikerinnen und Politiker anderer Parteien mit. Das kann man gut oder schlecht finden, dieser Protest ist aber kein Ersatz für eine politische Antwort. Was muss jetzt politisch folgen?
Die Ampel muss gute Politik machen und die CDU muss ihre Abgrenzung zur AfD aufrechterhalten.